Zwei Vegetarier im falschen Stadion
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- 19. Nov. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Nov. 2024
Fakten
Stadion | Stadion Hoheluft |
Ort | Hamburg |
Kapazität | 5.000 |
Datum | 15.11.2024 |
Spiel | SC Victoria Hamburg II (13.) : HSV Barmbek-Uhlenhorst (9.) |
Ergebnis | 0 : 1 |
Zuschauer | 100 |
Liga | Landesliga Hamburg Hammonia |
Ebene* | 6. |
Liga (vollständig) | 1 von 16 |
Ground - alt | nein |
Ground - neu | ja - 112. |
Spiel in 2024 / Gesamt** | 72 / 231 |
*internationaler Indikator des Fußballniveaus vergleichbar mit anderen Ligen
** Anzahl Spiele im laufenden Jahr / Anzahl Spiele insgesamt
Vorspiel
Freitag, 16 Uhr – meine Uschi nimmt meinen Kumpel Willi und mich am Flughafen in Hamburg in Empfang – wir sind vor 29 Stunden in Washington aufgestanden. Im Flieger haben wir nur etwas gedöst und nun sind wir fit wie ein Paar ausgelatschte Turnschuhe. Egal, es war ne geile Zeit bei unseren Kids, Pauline in Los Angeles und Miles in Washington. Nun erstmal Willi zu Hause abliefern und im Dorinth-Hotel in Eppendorf das Zimmer beziehen. Uschi fragt rücksichtsvoll „Willst du wirklich gleich weiter zum Fußball?“. Aber trotz ziemlicher Verpeiltheit kommt ein klares „Ja, ich will“ zur Antwort. Nichts Ungewohntes für meine Standesbeamtin also. Das auserkorene Spiel ist Eimsbütteler TV : Sasel und gleich um die Ecke, hinter dem UKE. Aus dem Hotelzimmer sehen wir schon das Flutlicht leuchten – welch schöne Aussicht. Nach nur wenigen hundert Metern und um die Ecke, ging es rein aufs Gelände. Wir drücken 10 € für beide zusammen ab und schauen uns erstmal etwas um.
Ich greife nun mal etwas vor. Nach 10 Minuten Spielzeit wundern wir uns etwas über die Trikotfarben. Weder Sasel noch Eimsbüttel tragen schwarz oder blau/gelb? Hhm? Es fällt dann ein Tor aber auf Fußball.de steht es noch 0:0? Verwirrung kommt auf. Wer spielt denn hier nun eigentlich? Mir ist es zu peinlich einen anderen Zuschauer danach zu fragen. Ich versuche weiter eine Antwort im Netz zu finden und siehe da: Es finden zwei Spiele in zwei nebeneinander liegenden Grounds statt. Und unser angepeiltes Stadion „ETV-Sportzentrum Hoheluft“ liegt noch 200 Meter weiter entfernt. Wir sind im „Stadion Hoheluft“ und zwar beim Spiel Victoria Hamburg II : Barmbek-Uhlenhorst. Jetlag, Altersdemenz oder was auch immer sei Dank, wir sind im viel geschichtsträchtigeren Stadion gelandet!
Ground
Der Ground atmet Geschichte. Er ist einer der ältesten von Hamburg (1907). Komisch ist, dass beide Stadien Hoheluft im Namen tragen, sie aber in Eppendorf (eben neben der Universitätsklinik Eppendorf) liegen. Es haben im Hoheluft-Stadion vor rund 100 Jahren sogar 5 Länderspiele stattgefunden. Es war damals der Ground Nummer 1 in Hamburg. Er bietet beim Fußball 5.000 Zuschauern Platz, davon sind überwiegend Stehplätze. Eine altehrwürdige Tribüne für 999 Zuschauer stellt das Prunkstück dar. Es hat noch ein Dach aus Holzbalken und Wellblech dazwischen. Sie wirkt etwas merkwürdig, da sie auf einem ca. 2 Meter hohem Betonsockel thront. Das ist dem geschuldet, dass die alte Tribüne mal abgefackelt wurde. Quarzen ist seitdem strengstens untersagt. Das Stadion wirkt etwas unorthodox. Alles ist irgendwie zusammengestückelt und hat nichts Symmetrisches. Am härtesten fanden wir, dass rechts der Tribüne, zwischen Stehplätzen und Zaun 5 oder 6 Autos parken. Wenn du unten stehst, siehst du die Außenlinie nicht – unglaublich. Seit einigen Jahren wird hier sogar das Hamburger Pokal-Endspiel ausgetragen und bringt dem Ground nationale Reputation.
Das Spiel stand aus einem weiteren Grund unter einem besonderen Stern. Uschi und ich sind seit einem Tag angehende Vegetarier. Was das für einen Groundhopper heißt, dürfte den meisten Lesern klar sein – NIE WIEDER STADIONBRATWURST! Wir waren gespannt, wie unser erstes lukullisches Erlebnis der Neuen Ära startet. Einladend strahlte in blau und gelb, den schönsten Farben dieser Welt, ein Schild „Victoria-Klause“ über dem Eingang des Stadionlokals. Wir erfuhren dann, dass die Hamburger Legende Walter Frosch das Lokal etliche Jahre führte. Es war gemütlich mit Kegelbahn und zu unserer Beruhigung gabs vegetarische Kost (Veggie-Burger, Pommes, überbackenen Schafskäse etc.). Es dauert nur etwas und das zweite Pils stand gerade auf dem Tisch, als das Spiel fast los ging. Mist. Ich fragte die Bedienung, ob wir die Gläser mit raus nehmen dürfen. Leider nein, die gehen dann manchmal zu Bruch. Dann brachte ich meine Geheimwaffe, Uschi. Ich teilte ihr im Brustton der Überzeugung mit, dass meine Frau Beamtin sei. Das Pils hat auch auf der Tribüne wunderbar geschmeckt.
Spiel
Es spielten zwei absolute Traditionsmannschaften gegeneinander, auch wenn es nur Victorias Zwote war. Victoria wird hier nur liebevoll Vicky genannt. Vicky wurde 1895 gegründet und hat die Farben Blau und Gelb – mehr Eintracht-Braunschweig-Bezug geht wohl kaum und so fühlten wir uns gleich heimisch.
Barmbek-Uhlenhorst wurde 1923 gegründet und hat welche Vereinsfarben? Blau und Gelb – es wird ja immer geiler! Ende der 60er Jahre wollte BU die zweite Kraft in Hamburg hinter dem HSV werden und man schaffte 1974 sogar den Aufstieg in die 2.Liga. Das Ganze endete aber mit dem krachenden Abstieg und 500.000 DM Schulden. Auch dank 10.000 verkaufter Langspielplatten „Stars singen für BU“ mit Heino, Gitte, Costa Cordalis und Roberto Blanco konnte BU vor der Insolvenz gerettet werden. Und voller Stolz teilte uns ein einsamer BU-Fan auf der Tribüne hinter den Autos mit, dass BU mit Andy Brehme sogar einen Weltmeister hervorgebracht hat.
Die Entscheidung in diesem Spiel zweier Mittelfeldmannschaften sollte schon sehr früh fallen. Bereits in der 7. Spielminute unterlief Vicky ein Eigentor. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch gar nicht, welches Spiel wir überhaupt sehen … Es sollte das einzige Tor des mittelmäßigen Spieles bleiben. BU war weiter überlegen. Aber es sollte ein torchancenarmes Spiel bleiben. Erst die letzten 10 Minuten und viel zu spät warf Vicky nochmal alles nach vorne. Aber BU verteidigte bravourös und brachte das Ding über die Zeit.
Stimmung
Es waren ca. 100 Zuschauer da. Die meisten davon auf der Tribüne und einige davor hinter der Bande. Und dann war da ja noch der einzelne BU-Fan hinter den Autos. Wir fragten ihn, wie es um BU steht. Er erzählte uns erstmal voller Stolz über die historischen Erfolge, die er aber noch nicht mal als Spermium erlebt hätte. Der Aufstieg in die Oberliga ist das erklärte Ziel von BU. Von den 100 Zuschauern waren einige Gast-Fans, was wir am Jubel beim Tor merkten, vielleicht 20-30. Gesänge etc. gab es nicht. Ein Trommler von Vicky war hin und wieder am Werk und sorgte für etwas Stimmung. Vor uns saßen 3 Fans von BU. Diese rasteten fast aus, als in der Nachspielzeit das Spiel auf der Kippe stand und der Schiri 2 gelb-rote Karten für BU gab. Aus ihrer Sicht pfiff er nur für Vicky und maß mit zweierlei Maß.
Fazit
Das ich in der zweiten Halbzeit kurz eingenickt bin, lag wohl noch mehr am Jetlag als am Spiel. Denn das war ja außergewöhnlich, wie es selten ein Spiel ist. Und immerhin haben wir im ersten Vegetarierspiel etwas zu essen bekommen. Wer weiß, wie es im eigentlichen Stadion gewesen wäre .
Fotos










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